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Im ehemaligen Judenhof in der Kolpingstraße ist heute eine moderne Arzt-Praxis untergebracht
Von unserer Mitarbeiterin RENATE LINDNER Main-Post vom 28.10.2002
Ochsenfurt Die Jahreszahl 1552, die an der Fassade des Hauses am Ziehbrunnen in der Kolpingstraße zu lesen ist, bestätigt es: In diesen Tagen kann der 450. Geburtstag gefeiert werden. Die Geschichte des Gebäudes, die gleichzeitig ein Stück Stadtgeschichte ist beginnt aber viel früher.
Auf einem noch gut erhaltenen romanischen Keller wurde zwar 1552 ein Neubau errichtet, nachweislich befand sich schon vor 1300 an dieser Stelle ein Judenhof. Der Gebäudekomplex umfasste das Synagogengebäude selbst und eine Kemenate (von lateinisch cäminus Ofen) genannt Tra-schalem (Tor des Friedens). Es war ein beheizbarer Versammlungs- und Übernachtungsraum mit einer daran anschließenden Judenschule.
Die Hofstelle diente durchreisenden jüdischen Kaufleuten und Gästen als Quartier und in Kriegszeiten fand dort die jüdische Gemeinde Zuflucht. Nach der Judenverfolgung unter Bischof Otto von Wolfskehl 1336 ging das Gebäude als Lehen an zwei angesehene Ochsenfurter Bürgerfamilien. Bis 1799 betrieb Johann Berthel ein Bauernwirtshaus in Fortsetzung des früheren jüdischen Gästegebäudes.
Der Durchlass im Boden des Erdgeschosses in den Keller lässt vermuten, dass dort der Wein gelagert wurde. Das Wirtshausschild wurde am 3. Oktober 1799 an den Ankerwirt Adam Heim in der Brückenstraße übertragen. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde in der Tenne die Kutsche des Pfarrers untergestellt, wie alte Ochsenfurter zu berichten wissen und nach dem Krieg war das alte Haus für viele Flüchtlinge erste Station in ihrer neuen Heimat. Kein großer Komfort erwartete die Menschen, lediglich ein Wasserhahn und ein „Plumpsklo" stand den Menschen zur Verfügung.
Ein Glücksfall für das alte Haus war der Kauf des Gebäudes durch das Ehepaar Dr. Dagmar und Dr. Siegfried Marten im Jahre 1992. Behutsam, sachkundig mit viel Liebe zum Detail ging es an die Restaurierung und Erhaltung eines der ältesten Gebäude in Ochsenfurt. Zeitgemäße Nutzung' durch eine Arztpraxis und als Wohnung im zweiten. Obergeschoss mit allen Vorteilen und Bequemlichkeiten und dabei den Charakter des Gebäudes nicht verfälschen war von Anfang an oberstes Ziel. .
„Wir haben Wert darauf gelegt, dass alles funktioniert", berichtet Dr. Marten. Alte Beschläge würden gereinigt, zum Teil ergänzt und wieder verwendet, die vor etwa 200 Jahren eingezogenen Stuckdecken in ihrer alten Höhe belassen. Als sachkundiger Partner stand der Restaurator Wolfgang Baude an der Seite der Besitzer. . Der Lehmputz wurde nur an lockeren Stellen abgeklopft und ergänzt, die Wände mit Kalkfahren getüncht. Im zweiten Obergeschoss ist die „gute Stube" noch im Original erhalten. Durch die Holztür mit dem großen Originalschloss betritt der Besucher einen mit dunkler Holzvertäfelung versehenen anheimelnd wirkenden kleinen Raum.
Der Boden ist zum Teil noch mit den alten Brettern versehen, die kleinen Fenster bringen genügend Sonne und Licht in die Stube. Dahinter im ehemaligen Schlafzimmer eine moderne Küchenzeile, die sich gut in das historische Gebäude einfügt. Details wie ein dunkel gefärbtes Loch in der Vertäfelung im Treppenhaus wurden erhalten.
Das Amt für Denkmalpflege war ein sachkundiger Berater während der Bauphase. „Man muss in diesem Haus wohnen können", war der Grundsatz von Frau Dr. Bock, der zuständigen Beraterin der Behörde. Zuschüsse in Höhe von etwa 75 000 Mark wurden gewährt, bei einer Renovierungssumme von etwa 500 000 Mark. '
Keine Schwierigkeiten gab es auch von der Aufsichtsbehörde, als Nebengebäude entfernt wurden und ein Anbau die Nutzfläche erweiterte. Im Erdgeschoss ist hier der Sozialraum untergebracht, im ersten Obergeschoss geht vom Wartezimmer der Blick in einen kleinen Innenhof, eine Dachterrasse im zweiten Obergeschoss .wird an einer Seite von den alten Mauern der ehemaligen Synagoge begrenzt.
Anfang November werden sich die Besitzer mit ihren Gästen bei einem kleinen Konzert im privaten Rahmen zur Geburtstagsfeier im Erdgeschoss treffen und sich an die lange, vielschichtige Geschichte des ehemaligen Judenhofes und der Menschen, die hier lebten, erinnern.