EINE PFINGSTGESCHICHTE

Ochsenfurt im Mai 2004

 Wolfgang Berg – das Ochsenfurter Findelkind

 Unterhalb der Wolfgangskapelle in Ochsenfurt befindet sich eine gefasste Quelle, das Wolfgangsbrünnle. Im Volksmund wird die Quelle auch als Storchenbrünnchen bezeichnet. Kinderlose Ehepaare, so sagt man, tranken von dem Wasser und hofften so auf Erfüllung ihres Kinderwunsches. Den Kindern erzählte man über viele Generationen, dass der Storch die Babys aus dem Brunnen hole und zu den Eltern brächte.
Am  17. Mai, dem Pfingstdienstag des Jahres 1932 lag tatsächlich einmal ein Neugeborenes in der Nähe der  Quelle. Eine Frau, die sich nicht anders zu helfen wusste hatte den kleinen Buben vor dem westlichen Kirchenportal  abgelegt. Der Messner und Maurer Georg Menth hörte nachts um drei Uhr sein Wimmern, er hielt es zuerst für Katzengejammer,  dann stand er doch auf und fand den kleinen Erdenbürger. Der Knabe war da gerade einmal zwölf Stunden alt. Unter anderem war er auch in ein Stück weißen Damastbettüberzugs gewickelt. Das mag der Grund sein, dass man die Mutter des Jungen in „besseren“ Kreisen vermutete.
Das Findelkind wurde von der Polizei der Hebamme Mathilde  Ruckert anvertraut, die sich um sein Wohlergehen kümmerte. Später wurde das Kind von ihr und ihrem Ehemann adoptierte. Ein Name für den Kleinen fand sich auch schnell. Wolfgang Berg wurde er nach seinem Fundort vom damaligen Bürgermeister Konrad Lorenz genannt. Leider war Wolfgang, dem Sonnenschein der Familie Ruckert,  kein langes Leben beschert, am 28. Februar 1936 starb er an Blinddarm- und Bauchfellentzündung  Alles was heute noch an sein kurzes Leben erinnert, ist eine Inschrift auf dem Grabstein der Ruckerts auf dem Ochsenfurter Friedhof, in deren Gruft er ruht.
Wer die unglückliche Mutter war wurde nie herausgefunden. Die Hebamme, so sagen die Alten war die einzige, die es gewusst hatte. Sie nahm ihr Wissen mit ins Grab. Jedenfalls muss Wolfgangs Mutter aber in der Nähe gelebt haben. Denn oft fand man später morgens frische Blumen auf dem Grab, sie muss sie des Nachts heimlich dort hin gelegt haben.
Dass diese Geschichte nicht in Vergessenheit geriet verdanken wir den alten Ochsenfurtern  Stefan Seiffert, der sie mir erzählt hat und dem ehemaligen Stadtkämmerer Fritz Deucker, der in den 80er Jahren die Geschichte erstmals recherchiert hat. Auf seine Initiative hin wurde auch die Inschrift am Grab angebracht.

 

  

Oben: Originalbericht in der Zeitung von 17. Mai 1932
Unten links: Grabinschrift, Unten rechts: die eigentliche Quelle des Wolfgangsbrünnchens liegt etwa 75 Meter weiter nördlich hinter diesem Türchen verborgen.

von Helmut Rienecker

Erster Originaltext vom ehemaligen Ochsenfurter Stadtkämmerer Fritz Deucker, geschrieben in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf einer Schreibmaschine.

Mehreren älteren Ochsenfurtern ist noch bekannt, dass vor vielen Jahren an der Ochsenfurter Wolfgangskapelle ein Findelkind ausgesetzt wurde. Frau Betty Ruckert, deren Mutter, die seinerzeit als Hebamme in Ochsenfurt fungierte und das Findelkind zu sich nahm, erinnert sich noch wie folgt daran:
Das Findelkind muss am 16. Mai 1932 geboren sein. Am 17. Mai 1932, gegen 4 Uhr wurde das Knäblein als Neugeborener am Hauptportal an der Westseite der Wolfgangskapelle ausgesetzt und von dem seinerzeitigen alten Mesner Georg Menth aufgefunden. Der Mesner hörte von seiner nebenanliegenden Wohnung aus ein Wimmern und meinte es seien junge Kätzchen. Da sich das Wehgeschrei jedoch immer wieder fortsetzte und nicht enden wollte, entschloss er sich nachzusehen. Zu seinem Erstaunen fand er ein neugeborenes Knäblein. Es war in verschiedene Stoffreste gehüllt, denn die damalige Maiennacht war sehr kalt Der Mesner verständigte sofort die Polizei. Diese setzte sich umgehend mit der Hebamme Mathilde Ruckert aus Ochsenfurt in Verbindung und gab ihr die Weisung, sich vorläufig des Kindleins anzunehmen.
Frau Ruckert holte das Neugeborene zu sich nach Hause. Es wurde mit aller Liebe gepflegt, gehegt und versorgt. Trotz aller Nach­forschungen der Polizei konnte die Kindsmutter nicht ermittelt werden. In dem seinerzeit knapp 4000 Einwohner großen Städtchen Ochsenfurt munkelte man aber, dass das Kind aus einer angesehenen Ochsenfurter Familie stammen würde. Doch es blieb bis zur heutigen Zeit nur beim Verdacht.
Der Standesbeamte der Stadt Ochsenfurt hat im Geburtenbuch unter der Nr. 28 vom 19. Mai 1932 folgendes beurkundet:
,,Der Bürgermeister hiesiger Gemeinde hat als Ortspolizeibehörde Nachstehendes angezeigt:
Von dem Maurer Georg Menth in Ochsenfurt, Uffenheimer Straße 441, ist am siebzehnten Mai tausendneunhundertzweiunddreißig, vormittags gegen drei Uhr vor der Türe der Wolfgangskirche in Ochsenfurt ein zehn bis zwölf Stunden alter Knabe aufgefunden worden. Derselbe hat keine besonderen Kennzeichen. Er war in ein Stück einer getragenen Herrenunterhose, in ein Stück eines gebrauchten weißen Bettdamastüberzuges  und in ein Stück weißrötlichen Baumwollstoffes eingewickelt. Das Kind ist bei der Hebamme Mathilde Ruckert in Ochsenfurt untergebracht und hat den Namen ,,Wolfgang_Berg“ erhalten. Der Standesbeamte: gez. Lorenz, 1. Bürgermeister.

Frau Betty Ruckert erzählt dann weiter, dass das Kind, da sich niemand darum kümmerte, von der Familie Ruckert aufgenommen wurde. Die Eheleute Ruckert beschlossen sodann, das Kind, das inzwischen der Liebling der Familie geworden war, zu adoptieren. Das Kind war sehr pflegebedürftig und gegen Krankheiten anfällig. Alles wurde für das Kind getan. Aber es sollte anders kommen. Am Faschingssonntag des Jahres 1936 erkrankte das Kind an einer Blinddarmentzündung. Der seinerzeitige Ochsenfurter Arzt, Sanitätsrat Dr. Sack wurde hinzugezogen. Er veranlasste das Kind ins Juliusspital zu Prof. Bundschuh zu bringen. Der kleine Wolfgang Berg wurde jedoch nicht mehr operiert. Er bekam zu­sätzlich eine Bauchfellentzündung und wurde am 27. Febr. 1936 zur Familie Ruckert zurückgebracht, wo er am 28. Febr. 1936 unter qualvollen Schmerzen knapp vierjährig verstorben ist. Er ruht im Friedhof zu Ochsenfurt in der Familiengruft der Eheleute Liborius und Mathilde Ruckert.

Fritz Deucker

 

Zweiter Originaltext vom ehemaligen Ochsenfurter Stadtkämmerer Fritz Deucker, geschrieben in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf einer Schreibmaschine.

Betrifft:   Wolfgang B E R G    Findelkind.

Am 16.Mai 1932 wurde Wolfgang Berg geboren, am 17. Mai gegen 4 Uhr wurde er als Neugeborener am Hauptportal der Wolfgangskirche ausgesetzt und aufgefunden vom Messner Menth. Der Messner hörte Wimmern und meinte es seien junge Kätzchen, bis er sich entschloss nachzuschauen und entdeckte aber das neugeborene Knäblein, das in ein paar Stücke von einem Damastbezug eingewickelt war. (die Nacht war sehr kalt). Der Messner verständigte die Polizei und die Polizei verständigte die Hebamme Ruckert Mathilde.
Frau Ruckert holte das Neugeborene zu sich nach Hause. Es wurde mit aller Liebe gepflegt und gehegt, sowie versorgt. Die Kindsmutter konnte nicht ermittelt werden, trotz Spurensuche usw.
Der damalige Bürgermeister Lorenz gab dem Säugling den Namen: Wolfgang Berg. Niemand kümmerte sich um das Kind, es wurde in der Familie Ruckert aufgenommen und Frau Ruckert und ihr Mann beschlossen das Kind, den Liebling der Familie ,zu adoptieren mindestens bis es in die Schule kommt. (Die Adoption war damals sehr schwierig) Der kleine Wolfgang war der Sonnenschein der Familie und sehr pflegebedürftig und gegen Krankheiten anfällig. Alles wurde für das Kind getan. Aber der Herrgott hat es anders gewollt; am Faschingsmontag erkrankte er an einer Blinddarmentzündung. Dr. Sack wurde zugezogen und er veranlasste das Kind ins Juliusspital zu Prof. Bundschuh zu bringen. Der kleine Wolfgang wurde nicht operiert, bekam eine Bauchfellentzündung (geplatzter Blinddarm) wurde am 27.2.1932 zur Familie Ruckert zurückgebracht, wo er am
28.2.1932 unter qualvollen Schmerzen verstorben ist. Er ruht im Friedhof in der Familiengruft Ruckert. Die Kindsmutter konnte bis heute nicht ermittelt werden.
Verdacht besteht zwar, dass er aus Ochsenfurt stammt, aus einer angesehenen Familie, aber wenn man nichts gesehen hat, kann man nur vermuten.

Fritz Deucker