von Hans Hohe, Stadtarchivar von Ochsenfurt, verst. 2008 Die kunstvolle Rathausuhr und ihre anfänglichen Tücken Aus „Rund um den Landturm“, einer Beilage zur Ochsenfurter Zeitung, vom 12.05.1951 Zu den schönsten und originellsten Baudenkmälern unserer alten Stadt Ochsenfurt zählt zweifelsohne das Uhrentürmchen auf dem neuen Rathaus mit seiner Spielwerkuhr. Jedem Besucher der Stadt fällt dies Wahrzeichen von Ochsenfurt sofort ins Auge, und wer sich eines kundigen Führers durch Ochsenfurt bedient, dem wird von diesem mit Stolz das Kunstwerk beschrieben. Wir wissen schon manches vom Mechanismus des Werkes und seiner Symbolik, aber die genaue Herstellungszeit und die Geschichte der Erbauung war bislang nur auf Mutmaßungen gestützt. Vor kurzem ist es mir nun gelungen, aus alten Urkunden den Werdegang der Kunst- Rathausuhr wie sie heute vorhanden ist, auszukramen. Wer schon einmal den mühsamen Weg über eine schiefe Treppe zum geräumigen Dachboden des Rathauses gefunden hat, dem ist es sicher nicht entgangen, dass in einer Ecke zwei noch teilweise erhaltene Uhrwerke stehen, die in Größe und Form der derzeitigen Uhr gleichen. Eine Reihe Teile liegen dort auch verstreut herum und harren der sachverständigen Hand, die diese uralten Werke dem Stadtmuseum in restauriertem Zustand einverleiben. Das Vorhandensein dieser genannten Werke zeigt an, dass zu irgendeiner früheren Zeit einmal eine umfassende Erneuerung erfolgte, denn ein Ausbau des gesamten Triebwerkes durfte nur nach großen Zeiträumen stattfinden. Ein Hinweis in dem Werke »Die Kunstdenkmäler des Königreiches Bayern« nennt uns den Hersteller, nämlich den Würzburger Uhrmachermeister Hans Sycher, und bezeichnet als Zeitpunkt des Einbaues das Jahr 1560. Die sonst so vollständigen Ratsprotokolle, in denen sicher so eine wichtige Sache in erster Linie zu finden gewesen wäre, lassen uns diesbezüglich im Stich. Durch einen Zufall stieß ich im Missivbuch von 1560 auf einen umfangreichen Briefwechsel in genannter Angelegenheit; aus diesem kann mühelos der Werdegang der Uhrenherstellung rekonstruiert werden. Es war um das Jahr 1559. Schon damals war eine Uhr auf dem Rathaus aufgestellt. Sie hatte nur ein Stundenschlagwerk und, genau wie heute, eine astronomische Uhr. Die beiden Ratsherren, die heute beim Schlag die Fenster öffnen und herausblicken, waren noch nicht angebracht. Diese Uhr hatte lange Zeit, wahrscheinlich seit Erbauung des Rathauses (etwa 1497 bis 1515) ihre Dienste getan, war aber mittlerweile mangelhaft geworden. Im Winter 1559 hatte man daher im Stadtrat beschlossen, dass eine neue Rathausuhr angeschafft werden muss. Man wandte sich an den Uhrmachermeister Sycher aus Würzburg. Indem man ihm das alte Werk zum Kaufe anbot, fragte man ihn, Was eine neue Uhr, unter Einrechnung des Wertes des alten Werkes, kosten würde. Der Uhrmachermeister erklärte, dass dann die neue Uhr auf 90 Gulden käme. (Zum Vergleich: ein Fuder Wein kostete zu gleicher Zeit 30 Gulden) Gleichzeitig eröffnete er dem Stadtrat dass sich die Sache gut träfe, denn er habe gerade ein Uhrwerk in Arbeit Das hätte neben dem Stundenschlagwerk auch ein Viertelschlagwerk Dieses hätte zwei wunderschön geschnitzte Bilder und Wappen, Allerdings kostete das Werk 120 Gulden. Man bestellte dieses Uhrwerk alsbald. Zum Osterfest 1560 wurde die Uhr herbeigeschafft und im Rathaussaal auf einer Bank zur Besichtigung aufgestellt Der Meister hatte die Gewichte angehängt und die Zeiger eingesetzt. Die alte astronomische Uhr (der »Mondschein«, wie sie damals von den Ochsenfurtern genannt wurde) war in das neue Werk mit eingebaut worden. Die Ochsenfurter waren begeistert über das neue Werk. Aber nicht lange. Etliche Wochen dauerte es, bis der Meister die Uhr im »Lanzentürmlein» aufgestellt hatte Anscheinend wollte etwas nicht klappen! Die Stadtväter murrten schon über die Höhe der Verpflegungskosten, denn der Meister und seine Gesellen erhielten jeden Tag auf Kosten der Stadt im Spital (dem allgemeinen Kosthaus der Stadt) Speis und Trank. Endlich konnte die Arbeit abgeschlossen werden. Die Unkosten waren bis auf 320 Gulden angestiegen, denn schlauerweise hatte Meister Sycher die Kosten der Aufstellung nicht im Preis inbegriffen. Dazu kamen noch die hohen Verpflegungskosten. Kaum war der Meister weggezogen, da erreichte die Stadt schon das erste Mahnschreiben, man hatte erst 120 Gulden bezahlt. Aber die Stadtväter waren sehr bedächtig und vorsichtig. So lautet auch die Antwort auf den Mahnbrief (Datum Mittwoch nach Kreuzerhöhung): »Man will erst die Uhr auf Beständigkeit erforschen, denn seit Eurem Abschied, hochverehrter Freund und Gönner, hat die. Uhr böslich mit Zeigen und Schlagen getan. Am böslichsten ist aber der Mondschein, letzterer geht ganz falsch und nichtig. Ob es wohl mit dem Wort, dass das Werk den Meister loben soll, stimmt? Ob das heißen soll, eine Stadt mit einem guten Werk versorgen? Wir können es nit erkennen! Wir machen uns mit diesem Werk nur lächerlich, denn man hat uns schon. gesagt, wir müssten uns mit diesem gestückelten Werk schämen. Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Wir lassen auf unsere Kosten. zwei Sachverständige, Meister des Uhrmacherhandwerks, aus Nürnberg kommen, die mögen dann schätzen und sagen, was wir Euch noch schulden. Da wir weiterhin gut Freund mit Euch bleiben wollen, hoffen wir, dass Ihr auf unser Angebot eingeht. Wollt Ihr nicht, dann nehmet nur das Werk wieder mit und gebt uns unser Geld heraus! Wir finden dann schon einen anderen, besseren Meister, der uns zu einem guten Werk verhilft ...« Soweit der Brief der Stadtväter an den Uhrmachermeister Sycher. Der Uhrmacher war aber nicht gewillt, sein Geld einzubüßen Er hat eine Supplikationsschrift an den Landesherren, den Bischof von Würzburg, gerichtet. Was der Meister schrieb, ist nicht bekannt, aber auf alle Fälle forderte der Landesherr einen Gegenbericht von »gemeiner Statt Ochsenfurt«. In diesem Bericht wird zunächst der Grund der Beschaffung eines neuen Uhrwerks angegeben. Dann legen aber unsere Räte mit unverblümter Sprache ordentlich los: ». Damals, als die Uhr im Ratssaal aufgestellt war, konnte man weder Gang noch Genauigkeit prüfen. Sie ist also zur nämlichen Zeit weder zu schelten noch zu loben gewesen, es habe sich also niemals um eine Besichtigung gehandelt, wie der Meister angibt. Es war genau so, als stände die Uhr auf dem Markt oder in der Werkstatt. Weder die Zeiger noch die vielen Zugehörigkeiten (Spielwerk!) konnten geprüft werden, vor allem auch nicht die Bewegung der Unruhen. Die Uhr ist auch nach dem Aufsetzen nur so lange gegangen, als der Meister da war. Als er weg war, blieb zunächst Mondschein stecken. Der konnte auch nicht gehen, denn das weiß doch jeder, dass Altes (astronomische Uhr aus dem alten Werk) und Neues nicht zusammen funktionieren kann. Die Viertelstunde ging nicht mit dem Zeiger, auch nicht mit dem Schlagen. Will man überhaupt etwas Gutes von der Uhr sagen, dann das, dass sie sich dem Schlagen der Stunden hören lassen kann. Das ist denn immer noch besser, als wenn sie ganz still und stumm wäre. Im übrigen hätten. wir noch viel Beschwerden zu vermelden, die uns vom Türmlein bescheret. Vor allem, was, uns an Kosten entstanden sind, weiß keiner besser als der Uhrmacher selber! Übrigens habe der Meister versprochen, auch geschnitztes Bildwerk anzubringen. Aber daran ist ihm auch die Kunst gröblich zerronnen. Er hat nur - zwei entsetzlich geschnitzte Bildlein gefertigt, von denen er meint, sie sollen die. Viertelstunden schlagen. Aber wie sieht es aus? Das eine steht ganz unbeweglich ohne einen Sprung zu tun! Und sonst? Er hatt nicht einmal ein Wappen angeschnitzt...« Dieser köstliche »Advokatenbrief« ging aus der Feder der Stadtverwaltung an den Landesherren ab. Wieder fragt der Uhrmachermeister um Zahlung an und wieder bekommt er abschlägige Antwort: »Der Bischof soll erst entscheiden, er könne aber unbenommen vorher das Werk bessern« (Geschrieben am St. Gallustag.) Noch ist der Streit lange nicht beendet, denn erneut hat Sycher an den Landesherrn Beschwerde herangetragen. Unterdessen waren aber die Sachverständigen eingetroffen. Nachfolgend der genaue Bericht eines »Augenscheintermins«: »Am Mittwoch den 30. do. kamen zwei Meister des Uhrmacherhandwerks aus Nürnberg. Sie haben des Meister Sychers Forderung und unser Erbieten gehört. Sie haben verglichen, ob wir im Recht wären, oder er, ob das Werk beständig und gut, oder nit. Sie haben vier Mängel festgestellt. Nämlich: die Zeiger sind falsch eingesetzt, eine lahme Feder ist am Aufziehrad, die zwei geschnitzten Bilder zum Viertelschlage gehen nicht, der Mondschein geht auch nicht. Alle diese Fehler sind gleichweis zu bessern. Allerdings, ganz sei das Werk nicht zu verwerfen. Jedoch habe man Bedenken und große Zweifel, weil das Werk mit überschwerem und großem Gewicht versehen ist, ob es auch in die Läng beständig, denn die Bolzen sind von geringer Stärke. Es habe der Meister so lange nun herumgebessert und geflickt, so dass allerdings in Frage stehe, ob jemals das Werk zum Gehen kömme. Man solle vorher nichts mehr zahlen, erst mal vier Jahre abwarten und Gang und Zeiger prüfen, denn eine neue Besserung könne nur in der Werkstatt des Meisters geschehen und wäre mit großen Kosten verbunden, man warte also mal zunächst ab...« Der Streit um die Uhr zieht sich noch bis 1562 dahin. Es war schon im ganzen Land bekannt geworden, dass die Ochsenfurter einen Reinfall mit der Beschaffung des Uhrwerks erlebt hatten. »Fremde durchreisende Personen haben gewitzelt und es spottlich gefunden, dass wir eine nicht gehende Uhr hätten« und es hätte nicht viel gefehlt, dass man extra deswegen nach Ochsenfurt gekommen wäre, um eine nichtgehende Uhr zu bewundern! Meister Sycher hat aber seinen guten Namen retten wollen. Das Geld hatte er damals nur wegen finanzieller Schwierigkeiten dringend gebraucht und wollte wegen eines Familienzwist sogar seinen Meisternamen opfern. Das wussten die Ochsenfurter auch, denn sie hatten, wenn auch manch grober Brief hinausging, immer noch große Stücke auf Sycher gehalten., der endlich die Uhr in Gang brachte. Um dem Meister ein Renommee zu verschaffen, hatte man zur „Schlussbesichtigung“ gleich vier Meister geladen, die sein Werk auch günstig beurteilten.
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